Care Leaver im Lockdown – Zwischen Einsamkeit und struktureller Benachteiligung im Lockdown-Winter 2020/21

Care Leaver im Lockdown – Zwischen Einsamkeit und struktureller Benachteiligung im Lockdown-Winter 2020/21

Wie geht es Care Leavern im Lockdown? Diese Frage haben sich in Online-Meetings Fachkräfte aus verschiedenen Projekten in Deutschland gestellt. Sie haben genau hingeschaut und mit Care Leavern gesprochen. Herausgekommen sind verdichtete Problembeschreibungen: Die Orientierung der Pandemiepolitik auf die Familie ist fatal für Careleavern, die häufig keinen oder keinen belastbaren Kontakt zu ihren Familien haben. Besonders bei Care Leavern droht die Gefahr von Vereinsamung durch die Kontaktbeschränkungen. Es sind vermehrt psychosoziale Probleme zu erkennen. Zugänge zu Hilfen werden erschwert. Ämter sind schwerer erreichbar. Die Benachteiligungen im Bildungsbereich verstärken sich. Es fehlt die digitale Infrastruktur für Care Leaver. Finanzielle Engpässe werden im Lockdown zu existentiellen Bedrohungen. Zeit, etwas genauer hinzuschauen und Maßnahmen anzupassen.

Beobachtete Auswirkungen auf Care Leaver

Die COVID-19-Pandemie hat unser Leben von heute auf morgen verändert. Lockdown, Social Distancing und Masken sind inzwischen fester Bestandteil des Alltags geworden und haben diesen maßgeblich verändert. Diese Veränderungen bringen neben dem notwendigen Schutz zur Eindämmung der Pandemie auch Probleme mit sich. Diese zeigen sich für ohnehin schon benachteiligte Personengruppen besonders deutlich – so auch für Care Leaver. Bereits vor der Pandemie bestehende Benachteiligungen werden durch die „Corona-Maßnahmen“ an vielen Stellen sichtbar gemacht bzw. verstärkt.

Der Begriff Care Leaver bezeichnet Menschen, welche einen Teil ihrer Kindheit oder Jugend in der öffentlichen Erziehungshilfe verbracht haben und sich im Übergangprozess in ein eigenständiges Leben befinden oder bereits auf eigenen Beinen stehen. Care Leaver erfahren an vielen Punkten strukturelle Benachteiligungen – nicht selten ist der Grund dafür das familialistisch geprägte, deutsche Sozialstaatsystem. Familialismus beschreibt ein Wertesystem, in dem die Familie den höchsten Stellenwert innerhalb der Gesellschaft innehat.  So wird staatliche Unterstützung in der Regel nach dem Nachrangprinzip gewährt. D.h. dass bei notwendiger Unterstützung immer zuerst auf die Familie verwiesen und nur wenn die Familie keine Unterstützung gewährleisten kann, können staatliche Unterstützungsleistungen in Anspruch genommen werden. So werden z.B. vor der Bewilligung von Sozialleistungen für junge Menschen (z.B. BAföG) zuerst etwaige Unterhaltsansprüche durch die Eltern geklärt, auch wenn es unter Umständen keinen Kontakt zur Familie gibt. Ebenso ist für die Unterstützung im (Schul-)Bildungsbereich in Deutschland vorrangig die Familie zuständig. Diese starke Fixierung auf den Familialismus schlägt sich auch in der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wider. An vielen Stellen wird auch hier auf die Unterstützung durch die Familie gesetzt. Gut sichtbar ist dies beispielswiese am Homeschooling oder auch der Schließung der Kinderbetreuungseinrichtungen. Es wird davon ausgegangen, dass (insbesondere) Eltern die wegfallenden Angebote ersetzen können, d.h. ihre Kinder unterstützen können. Hier wird sowohl von einer technischen als auch räumlichen Ausstattung, sowie der Erfüllung der Aufsichtspflicht durch die Familie ausgegangen. Das schließt die staatliche Erwartung der Vereinbarkeit von Homeoffice und Kinderbetreuung ein. Unterstützung soll durch das soziale Netz der Familie erfolgen, Care Leaver können aber in der Regel auf kein ausgeprägtes (familiäres) Netzwerk zurückgreifen. Sie stehen den Herausforderungen des Lockdowns ohne familiäre Unterstützung gegenüber, so dass die vom Staat vorausgesetzte Unterstützung gänzlich fehlt und sie dem Lockdown weitestgehend  aus eigener Kraft trotzen müssen.

Das Bundesnetzwerk Care Leaver Initiativen hat sich daher die Frage gestellt: „Wie geht es Care Leavern im Lockdown?“. Gemeinsam mit weiteren  Fachkräfte aus verschiedenen Projekten und Institutionen aus dem Bereich Leaving Care aus dem ganzen Bundesgebiet haben sie im Zeitraum Januar/Februar in drei Online-Meetings Erfahrungen, Wissen & Kenntnisse über die aktuelle Situation von Care Leavern zusammen getragen und diskutiert.  Insgesamt können die Diskussionsteilnehmer*innen Kontakt zu ca. 400-450 Care Leavern deutschlandweit vorweisen. Der Austausch konnte einige Problemlagen herausstellen, mit welchen Care Leaver in der aktuellen Situation konfrontiert sind. Diese werden im Folgenden dargestellt, wobei keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Vielmehr soll die Verschriftlichung als erster Anstoß dienen, sich mit diesem wichtigen Thema weiter auseinanderzusetzen und somit für mehr Sichtbarkeit von Care Leavern, insbesondere in der aktuell sehr herausfordernden Krisensituation, beitragen.

  1. Verminderte soziale Kontakte

Eines der Hauptprinzipien zur Bekämpfung der Pandemie bildet das Social Distancing, also die Reduktion der sozialen Kontakte. Dieses brachte die Schließungen von Schulen, Kindergärten, Universitäten, etc. mit sich. Ebenso wurden viele Arbeitnehmende ins Homeoffice geschickt. Zudem wurde in vielen Unternehmen auf Kurzarbeit umgestellt oder gar Jobs abgebaut. Auch im privaten Bereich gab und gibt es Vorgaben zu Beschränkung der Kontakte. Orte der Begegnung (Kita, Schule, Uni, Büro, Bekannten-  & Freund*innenkreise etc.) wurden somit auf digitale Formate umgestellt. Von den Regelungen ausgenommen ist der eigene Haushalt, bei dem in der Regel von Familien ausgegangen wird. Zudem gab es für Familien teilweise (z.B. an Weihnachten 2020) Sonderregelungen – „Lockerungen“ von denen weitestgehend Familien profitierten. Für Care Leaver fällt durch die Regelungen zur Kontaktbeschränkung weitestgehend jeglicher Kontakt weg. Die coronabedingten Beschränkungen stellen Care Leaver vor große Herausforderungen. Oft haben sie ohnehin ein eher kleines soziales Netzwerk, da die Familie bei vielen wegfällt. Auch Kontakte zu den ehemaligen Betreuenden oder der ehemaligen Einrichtung fallen gemäß der Kontaktbeschränkungen durch das Raster. Das kann für Care Leaver einen Verlust von wichtigen sozialen Kontakten bedeuten. Auch junge Menschen, die noch in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe leben, werden durch die Kontaktbeschränkungen teilweise weniger intensiv betreut. Ambulante Hilfen und Nachbetreuung wurden teilweise gänzlich ausgesetzt oder finden nur noch auf Zuruf statt. Dadurch können zwar schwerwiegende Probleme auf Initiative der jungen Menschen angegangen werden, aber wichtiger informeller Austausch und Kontakt oder spontane Unterhaltungen entfallen. Care Leaver treffen die Kontaktbeschränkungen besonders hart: durch die coronabedingte Entkopplung von der Gesellschaft erleben viele eine andere, intensivere Form der Einsamkeit. Care Leaver schildern, dass sie deutlich weniger soziale Kontakte haben. Einsamkeit ist ein großes Thema bei vielen. So ist zum Beispiel auch der Einstieg in ein Studium oder in eine Ausbildung bei vielen durch den Wegfall von Präsenzveranstaltungen, sprich die Begegnung mit anderen Menschen, erschwert. Das mindert ihre Bildungschancen stärker als bei Nicht-Care Leavern. Auch die Nutzung eigener Netzwerke ist nur sehr eingeschränkt möglich. Beratung, psychischer Beistand oder einfach nur Abwechslung bleiben oft auf der Strecke. Dies kann bei einigen zur Verschärfung psychosozialer Probleme bis hin zu stärker werdenden psychischen Symptomen führen. Dazu kommen noch starke Belastungen durch Homeschooling („Homeuni“/“Homeausbildung“): Wen können sie nach Hilfe fragen? Wer hilft ihnen? Wer lernt mit ihnen? Wer bereitet sie auf Prüfungen vor? Viele Care Leaver sind gerade sehr allein. Der Verweis auf familiäre Unterstützungsmöglichkeiten ist gerade bei Care Leavern fehl am Platz, da diese, wie bereits hervorgehoben, ausbleiben.

Stattdessen haben sich viele Care Leaver ein soziales Netzwerk außerhalb der Familie geschaffen – häufig als „Wahlfamilie“ bezeichnet. Doch auf diese Kontakte können Sie unter den aktuellen Kontaktbeschränkungen nicht zurückgreifen. Care Leaver werden damit von ihrer „Wahlfamilie“ ferngehalten. Diese Netzwerke sind jedoch insbesondere in der aktuellen Krisensituation besonders relevant. Dabei geht es sowohl um emotionalen Support als auch um nicht nur um praktische Hilfestellungen mit technischen Geräten oder das zur Verfügung stellen bzw. Teilen der Ausstattung.

  • Insgesamt lässt sich beobachten, dass soziale Kontakte für Care Leaver in der Pandemie besonders stark eingeschränkt sind.

2. Erschwerte Hilfezugänge

Vulnerable Gruppen (zu denen Careleaver gehören) sind häufig auf staatliche Hilfe angewiesen. Hilfeleistungen sind meist mit einer umfangreichen Antragstellung verbunden. Zwischen der Antragstellung und der Gewährung der Leistung entstehen in der Regel Lücken – diese müssen überbrückt werden. Informelle Unterstützungsangebote, wie beispielsweise Lebensmittetafel, Sozialkaufhaus, Treffpunkt, Ausgabestellen für Bedürftige, etc., fallen coronabedingt größtenteils weg. Prekäre Situationen vulnerabler Gruppen werden somit zusätzlich verschärft.

Für junge Menschen gibt es in Deutschland eine ausgeprägte staatliche Unterstützungsstruktur. Das Zurechtfinden innerhalb dieser Struktur ist mit vielen Herausforderungen verbunden und auch die Behörden, so scheint es, versuchen sich den Zuständigkeiten zu entziehen. 

Was zuvor bereits schwierig war, spitzt sich durch die Pandemie zu.

Die Erfahrung zeigt, dass eine erfolgreiche Hilfegewährung häufig von persönlichem Vorstellen der speziellen Notsituation sowie Drängen und Penetranz der Antragsteller*innen abhängig ist. Ansonsten kommt es unter Umständen zu einer Ablehnung des Antrags oder einer sehr langen Verfahrensdauer. Dieser persönliche Ämterkontakt fällt im Lockdown nun beinahe völlig weg. Die Kontaktaufnahme ist sehr viel schwieriger und persönliches Vorsprechen ist kaum noch möglich. So sind zum Beispiel Jugendämter wenig erreichbar, viele Sachbearbeitende sind im Homeoffice. Das wirkt sich direkt auf nicht gewährte Hilfen aus. Dies beobachteten Care Leaver z.B. bei unangemessen spät bewilligten Hilfen für junge Volljährige oder gar bei der existenzgefährdend verspäteten Auszahlung der Grundsicherung.  Positiv anzuerkennen ist, dass einige Ämter auf digitale Erreichbarkeit umgestellt haben. Das digitale Angebot wird jedoch von den jungen Leuten häufig als unpersönlich und ungeeignet erlebt.

Die Bringschuld der einzureichenden Dokumente liegt bei den Antragstellenden, unabhängig davon, ob diese über den benötigten Zugang verfügen (ob durch digitale Angebote oder pers./tel. Vorsprache). Dies verzögert Prozesse nicht nur, sondern kann sie auch gänzlich scheitern lassen.

 

  • Die Pandemie macht die strukturellen Benachteiligungen für Care Leaver deutlich und verstärkt sie!

 3. Zunehmende Benachteiligung im Bildungsbereich

Care Leaver sind im Bereich Bildung überdurchschnittlich häufig benachteiligt. Die Rate der Schulabgehenden ohne Abschluss ist unter Care Leavern besonders hoch. Nur ein verschwindend geringer Anteil von ihnen macht Abitur und noch seltener wird ein Studium aufgenommen. In diesem Zusammenhang sind auch die erschwerten Bedingungen der Möglichkeit zur Nachhilfe, wenn sie denn (digital) stattfindet, hervorzuheben.

Beim Lernen für anstehende Prüfungen lässt sich wegen der Kontaktbeschränkungen kaum Unterstützung organisieren. Neben der Nachhilfe verspätet sich für viele der Beginn der Ausbildung, des Freiwilligen Sozialen Jahres oder der Praktika/Auslandsaufenthalte, sofern sie nicht ganz entfallen. Absehbare notwendige Verlängerungen von Ausbildung und Studium lassen sich in der Regel für Care Leaver kaum finanzieren.

  • Die beobachtete Benachteiligung im Bildungsbereich verstärkt sich durch die Pandemie erheblich.

4. Fehlende digitale Infrastruktur

In vielen Bereichen erfolgt derzeit ein Ausweichen auf digitale Formen. Für Care Leaver gestaltet es sich häufig schwierig, diese Angebote wahrzunehmen. Das liegt oft an dem sich seit der Pandemie besonders deutlich hervorgehobenen Mangel an digitaler Infrastruktur. Meist sind neben der technischen Ausstattung vor allem auch Datenvolumen oder der Zugang zu Breitbandinternet ein Problem, denn das Abschließen von Verträgen ist teuer und sprengt oft den finanziellen Rahmen der jungen Erwachsenen. Vor allem beim Erhalt von Sozialleistungen, wo für solche Kosten ein viel zu geringer Betrag angesetzt ist, können diese Kosten oft nicht getragen werden. Homeschooling oder die Teilnahme an Online Veranstaltungen (Unterricht, Vorlesungen, Seminare, Meetings, etc.) setzen jedoch eine dauerhaft gute und stabile Internetverbindung voraus. Auch die technische Ausstattung ist nicht immer gegeben. Vor allem junge Menschen, die noch in einer Einrichtung der Jugendhilfe leben (aufgrund der Kostenheranziehung) oder Sozialleistungen beziehen, haben kaum Möglichkeiten, für ein geeignetes Endgerät zu sparen. Die Teilnahme an Online-Angeboten gestaltet sich damit fast unmöglich, wodurch die ohnehin schon bestehende Bildungsbenachteiligung deutlich verschärft wird.

Das trifft Care Leaver unter Umständen besonders hart, da sie in der Regel unverschuldet in ihre prekäre Lebenslage gekommen sind und kein Geld für die jetzt dringend notwendige Ausstattung ansparen konnten.

5. Existenzielle Bedrohungen

Vulnerable Gruppen sind in mehreren Lebensbereichen benachteiligt, häufig ihr Leben lang. Studien zeigen: auch Care Leaver sind häufiger von Obdachlosigkeit, von psychischen Erkrankungen, von Suchtmittelabhängigkeit, von Kriminalisierung und von Arbeitslosigkeit bedroht. Sie sind in stärkerem Maße abhängig von Transferleistungen, sie werden häufig früher selbst Eltern und haben weniger soziale und materielle Unterstützung – auch ohne Pandemie!

Nun aber sind Existenzen gefährdet, weil das Netz von Care Leavern gerissen ist. Durch den Wegfall von Jobs und Nebenjobs fehlen finanzielle Mittel ganz konkret. Finanzielle Hilfen aus den Sozialkassen verzögern sich, somit verzögern sich unter Umständen Mietzahlungen, Schulden werden nicht bedient und die selten genug vorhandenen Finanzpolster (u.a. durch fehlende Ansparmöglichkeiten in der Jugendhilfezeit) schmelzen ab. (s.o.).

  • Der Prozess der Verselbständigung wird für Care Leaver in der Pandemie erheblich schwieriger und manche Folgen sind existenzbedrohend.

Fazit

Nicht nur in Hinblick auf Care Leaver zeigt sich im Rahmen der COVID-19-Pandemie, dass bereits bestehende soziale Ungleichheiten sich verstärken oder zuspitzen. Für Care Leaver kommt allerdings hinzu, dass die Rückbesinnung auf die Familie als universales Unterstützungsnetzwerk in allen Lebenslagen, auch in jenen, in welchen eigentlich andere Institutionen regelhaft zuständig wären, nicht zur Verfügung steht. Von staatlicher Seite wird die Vorstellung einer heteronormativen Familie angelegt und auf Grundlage derer davon ausgegangen, dass diese gewisse Funktionen erfüllen könne. Dysfunktionale Strukturen werden nicht bedacht, ebenso wenig wie andere Formen der Unterstützungsnetzwerke abseits der eigenen Familie oder maximal des eigenen Haushaltes. Die
Kontaktbeschränkung als eines der wichtigsten Instrumente der Pandemiebekämpfung bringt ebenfalls strukturelle Manifestierung von Einsamkeit mit sich. Damit nimmt die Politik eine eingeschränkte gesellschaftliche Teilhabe billigend in Kauf. Dies trifft Care Leaver ebenfalls besonders hart, denn sie sind häufig auf bestimmte, oft auch informelle, Leistungen von Institutionen oder ehrenamtlichen Organisationen angewiesen.
Auch für junge Menschen, welche noch in der Kinder- und Jugendhilfe leben, gestalten sich die Bedingungen im Lockdown maßgeblich schwieriger. Verselbstständigung wird durch die bereits genannte Einschränkung des öffentlichen Lebens und die kaum mögliche gesellschaftliche Teilhabe erschwert bis nahezu unmöglich gemacht. An vielen Stellen zieht sich aber auch die Kinder- und Jugendhilfe zurück oder die bereits vorher bestehenden Qualitätseinschränkungen werden deutlicher hervorgehoben. War es beispielsweise schon immer schwierig, Hilfeplanprozesse partizipativ zu gestalten, so macht es die stark eingeschränkte Erreichbarkeit von Behörden wie Jugend- und Sozialämtern im Lockdown fast unmöglich. Auch die häufig geforderte Mitwirkung, welche jungen Menschen oft eine Bringschuld auferlegt, wird strukturell kaum noch umsetzbar gemacht. Eine Mitwirkung ist unter den gegebenen Umständen häufig nicht mehr möglich, da Behörden nicht erreichbar sind oder die Teilnahme an beispielsweise Bildungsangeboten nicht möglich ist. Gleichzeitig bleibt die Erwartungshaltung gegenüber den jungen Menschen aber unverändert und fehlende Möglichkeit zur Mitwirkung kann zur Ablehnung weiterer Hilfen führen. Das Ausweichen auf digitale Alternativen zeigt sich aus verschiedensten Gründen für Care Leaver schwierig und schafft daher keine ausreichende Inklusion dieser Personengruppe in den meisten Kontexten.

Abschließend lässt sich sagen, die Pandemie und der anhaltende Lockdown für Care Leaver eine überdurchschnittliche Belastung darstellen. Care Leaver sind eine Personengruppe, welche ohnehin systematischer struktureller Benachteiligung ausgesetzt ist, welche durch den Lockdown massiv verschärft werden. Zudem fällt die Lebenslage von Care Leavern aus dem Raster der normativen Erwartungen der Gesellschaft und des Staates an die Unterstützungsressourcen der Familie, an welche aktuelle Corona-Maßnahmen verstärkt angelehnt werden. 

Es scheint so, als wären Care Leaver mit ihren spezifischen Lebenslagen bisher kaum oder auch gar nicht von der Politik bedacht worden.

Aus der Auseinandersetzung mit dieser Thematik resultieren daher in Hinblick auf die Situation von Care Leavern im Lockdown-Winter 2020/2021 folgende Forderungen

  • Care Leaver müssen als Teil der Gesellschaft und somit auch von der Politik wahrgenommen werden. Corona-Maßnahmen sowie Lockerungen dürfen nicht ausschließlich wirtschafts- und familienorientiert sein, sondern sollten sich an der gesamten Gesellschaft orientieren und auch vulnerable Gruppen einbeziehen.
  • Das Zeitkontingent für Hilfen zur Erziehung sollte erweitert werden, wenn Lockdown-bedingt bestimmte Ziele nicht erreicht oder weiterverfolgt werden konnten oder es noch weiterer Unterstützungsbedarf gibt. Ebenso sollten Überbrückungshilfen geschaffen, die Nachbetreuung ausgebaut und an die derzeitigen Gegebenheiten und Lebenssituationen der Care Leaver angepasst werden.
  • Care Leaver müssen unkompliziert und unbürokratisch eine technische Grundausstattung erhalten, um digitale Angebote (Leistungsträger, Schule, Uni, Arbeit, etc.) wahrnehmen zu können.
  • Die Auswirkungen des Lockdowns auf die speziellen Lebenslagen von Care Leavern sollten wissenschaftlich untersucht werden, auch um daraus eventuell zukünftig notwendige Unterstützungen ableiten zu können.

 

 

Wir stehen für Rückfragen gerne zur Verfügung und sind gerne bereit an konkreten Überlegungen der Umsetzung dieser Forderungen mitzuarbeiten.

 

Kontakt:

Wir sind unter folgenden E-Mail-Adresse erreichbar: info@careleaverinitiativen.de

www.careleaverinitiativen.de

Aktuelle Sprecher*innen:

Katarzyna Trampe-Plooij

Katharina Höffken

Björn Redmann