Beteiligung an Anhörung im Familienausschuss des Bundestages zum Thema Care Leaver

Beteiligung an Anhörung im Familienausschuss des Bundestages zum Thema Care Leaver

Am 11.03.2020 fand im Familienausschuss des Bundestag eine Anhörung zur Lage von Careleavern statt. Als „Bundesnetzwerk Care Leaver Inititiativen“ haben wir hier Auskunft geben können zu unseren Überlegungen, was für Careleaver verbessert und auch gesetzlich geändert werden müsste. Wir haben das folgende Eingangsstatement gehalten:

Rechte für Care Leaver stärken. Kurzer Input im Familienausschuss des Bundestages

11.03.2020

Vielen Dank für die Einladung und die Möglichkeit, hier im Ausschuss sprechen zu können. Das Bundesnetzwerk Care Leaver Initiativen hat sich im Jahr 2017 gegründet, um diejenigen Projekte und Personen zusammenzuführen, die mit und für Careleaver im Bundesgebiet aktiv werden, um einerseits ganz konkret die Lage für Careleaver vor Ort zu verbessern und andererseits strukturelle Veränderungen anzuschieben. Im Bundesnetzwerk sind 50 Personen und Initiativen miteinander verbunden und wir treffen uns regelmäßig für Erfahrungsaustausch und gemeinsame Projekte. Ende des vergangenen Jahres haben wir gemeinsam ein Positionspapier arbeitet, dass ich am Ende kurz vorstellen werde.

Aus der Praxis der Arbeit mit jungen Menschen können wir berichten:

  • wir erleben, dass Careleaver früher selbständig werden müssen als Gleichaltrige,
  • sie fallen durch Raster bei Übergängen zwischen Hilfen,
  • sie sind im Bildungsbereich häufig benachteiligt,
  • sie drohen zu vereinsamen,
  • sie fallen in eine finanzielle Unsicherheit,
  • sie haben Schwierigkeiten eine Wohnung zu finden,
  • sie konnten innerhalb ihrer Jugendhilfe-Zeit keine Gelder ansparen,
  • sie haben in der Regel keine Rückkehrmöglichkeiten in die Jugendhilfe,
  • sie sind nicht ausreichend informiert über vorhandene Unterstützungsmöglichkeiten
  • und sie haben keine ausgeprägte Lobby für ihre Interessen.

Aus der sozialwissenschaftlichen Forschung wissen wir, dass sich die Selbstständigkeit immer weiter zeitlich nach hinten verschiebt. Je nachdem, welcher Schul- oder Ausbildungsabschluss angestrebt wird, liegt der Auszug aus den Elternhäusern zwischen dem 21. und dem 25. Lebensjahr. Durchschnittlich liegt es bei 23,7 Jahren. Die weit überwiegende Zahl der jungen Menschen aus Heimen, Wohngruppen und Pflegefamilien zieht spätestens mit dem 18. Geburtstag aus. D.h. wir muten junge Menschen, die in ihrem Aufwachsen mit besonderen Schwierigkeiten und Härten zu tun hatten zu, im Durchschnitt 5,7 Jahre früher auszuziehen, selbstständig zu sein und auf Unterstützungen und Hilfen weitgehend verzichten zu müssen.

Ganz konkret sehen wir das bei den Zahlen der Inanspruchnahme von Hilfen von und für junge Menschen. In einer bedeutenden Klarheit ist zu erkennen, wie die Inanspruchnahme nach dem 18. Geburtstag deutlich abfällt. Gegenüber knapp 235.000 jungen Menschen, die aktuell in Wohngruppen und Pflegefamilien aufwachsen, erhalten weniger als 60.000 junge Volljährige Hilfen über das 18. Lebensjahr hinaus. Und in vielen Fällen sind diese Hilfen über das 18. Lebensjahr hinaus dann sehr kurz auf ein viertel oder ein halbes Jahr begrenzt.

Wir sollten den Blick noch auf eine spezielle Problematik richten: Besonders dramatisch ist es für Careleaver, wenn ihre Hilfen abrupt, un-abgesprochen und überraschend enden. Wir kennen durchaus Hilfen, in denen junge Menschen in die Obdachlosigkeit entlassen werden. Die Rate der ungeplant beendeten Hilfen im Jahr 2014 in der Heimerziehung liegt bei über 50 %. Die Wahrscheinlichkeit, dass in vielen dieser Fälle Krisen und besondere Probleme entstehen, ist bedrückend hoch.

Denn gerade bei den ungeplant beendeten Hilfen in der Heimerziehung wissen wir, dass sich in fast der Hälfte der Fälle keine weitere Unterstützung anschließt. Das ist nicht nur individuell für die jungen Menschen eine dramatische Situation, sondern stellt auch dringliche Fragen an die Unterstützungsstruktur der Kinder und Jugendhilfe.

 

Was wäre nun also zu tun? Aus unserer Sicht sollte es einen Rechtsanspruch für Careleaver geben, dass sie über das 18. Lebensjahr hinaus regelhaft Unterstützung der Kinder und Jugendhilfe erhalten. Dazu sollte es im Paragraf 41 SGB VIII zu einer Klarstellung kommen, indem aus der „Soll-“ Bestimmung eine „Muss-“ Bestimmung wird. Außerdem sollte es eine Rückkehroption für Careleaver geben, wenn sie in der Selbstständigkeit noch nicht klarkommen. Und es braucht niedrigschwellige Beratungsangebote für Careleaver.

Weiterhin regen wir an, dass die fallführende Zuständig für Careleaver bis zum 27. Lebensjahr beim Jugendamt liegen soll und nicht auf andere Sozialleistungsträger übergehen soll. Der Grundsatz sollte sein, dass Careleaver, solange sie Unterstützung brauchen, weiterhin bei ihrem Jugendamt angedockt sind.

Ein erhebliches Problem bekommen Careleaver beim Zugang zu Wohnraum. Wir regen an, dass über die Wohnungspolitik Eigentümer und Vermieter verpflichtet werden, Kontingente für Careleaver bereitzustellen.

Zur Kostenheranziehung ist viel gesagt worden in den letzten Monaten. Es ist von erheblicher Bedeutung ist, dass junge Menschen sich für die Zeit nach der Hilfe Gelder ansparen können. Die 75 % Regel muss natürlich dringend überarbeitet werden. Wir sprechen uns für eine Abschaffung der Kostenheranziehung für Careleaver aus.

Vielen Dank!